ein Projekt der
Stadt Bielefeld

Interview mit Henner Zimmat und Dennis Bußian

Altstadt Kaufmannschaft e.V.

Veränderungen werden manchmal als schwierig empfunden. Menschen müssen sich umgewöhnen und auch buchstäblich neue Wege gehen. Als am 30. Mai 1969 mit der Niedernstraße Bielefelds erste Fußgängerzone eingeweiht wurde, hatte es zuvor viele Diskussionen gegeben – und auch einen Versuch. 1957 war die Niedernstraße anlässlich des Weihnachtsmarkts erstmalig als vorübergehende Fußgängerzone ausgewiesen worden. Heute wäre es unvorstellbar, dass Autos durch die verkehrsberuhigte Zonen fahren. Vielleicht ein richtungsweisendes Beispiel für den altstadt.raum? Wir haben mit Henner Zimmat und Dennis Bußian, Vorstand der Altstadt Kaufmannschaft e.V. über den aktuellen Verkehrsversuch gesprochen.

Was meinen Sie, werden sich die Bielefelder*innen an einen verkehrsberuhigten altstadt.raum gewöhnen und ihn irgendwann eventuell auch zu schätzen wissen?

Dennis Bußian

Dennis Bußian: Grundsätzlich gibt es einen Konsens, dass wir etwas tun müssen, um die Altstadt attraktiver zu machen. Dem Projekt altstadt.raum und auch der Verkehrswende stehen wir von der Kaufmannschaft grundsätzlich positiv gegenüber. Wir alle möchten ein entspanntes Shopping- und Gastroerlebnis in der Stadt haben. Und dazu gehören ganz klar Veränderungen. Wir sind der Meinung, dass viel Positives im altstadt.raum steckt und die Bielefelder*innen die Neugestaltung gewisser Straßen und Plätze auch in Zukunft schätzen und lieben lernen. Daneben gibt es Maßnahmen, die kritisch sind. Ich denke da an die Abbindung des Waldhofes. Dagegen hatten wir uns von der Kaufmannschaft stark gemacht. Denn die Auswirkungen sehen die Kaufleute jeden Tag: weniger Frequenz und ein damit verbundener Umsatzrückgang. Wir sind mit der Politik in regelmäßigem Austausch und haben auch den Eindruck, dass unsere Anliegen Gehör finden. Zum Weihnachtsgeschäft soll sich in puncto Öffnung etwas bewegen. Das wäre für unsere Mitglieder eine große Erleichterung. Auch die Befragung zu den Maßnahmen im altstadt.raum hat gezeigt, dass es für eine Abbindung des Waldhofs keine breite Zustimmung gibt. Auch nicht bei den Anwohner*innen. 

Henner Zimmat: Wie Dennis Bußian schon sagte: Wir begrüßen alle Maßnahmen, die die Stadt schöner und attraktiver machen. Und es lassen sich sicherlich Kompromisse für einen berechtigten Individualverkehr in der Altstadt finden. So könnten Händler, Handwerker, Zulieferer oder  Krankenwagen mit Transpondern für versenkbare Sperrpfosten ausgestattet werden und der Waldhof zu Geschäftszeiten von 10:00 Uhr bis 19:00 Uhr für Kunden geöffnet werden. Dadurch ist dann auch die Zuwegung zu den anliegenden Parkhäusern gewährleistet.

Aber alle Parkhäuser sind auch während des Versuchs erreichbar …

Henner Zimmat: Ja, das ist richtig. Aber gerade in der Anfangsphase des Versuchs ist das nicht gut kommuniziert worden. Bei den Menschen ist der Eindruck entstanden, dass die Altstadt nicht mehr erreichbar ist und auch keine Parkplätze verfügbar sind. Dabei waren und sind die rund 8.000 Plätze in den Parkhäusern und die 2.000 überirdischen Plätze erreichbar. Darauf ist zu wenig verwiesen worden. Ebenso haben wir über Hinweistafeln gesprochen, die dem Bürger erklären, was hier gerade passiert, die bis heute fehlen. Letztendlich sind 60 oberirdische Parkplätze weggefallen, mehr nicht.

Die Stadt Bielefeld hat einen enormen Imageschaden erlitten und es muss hart daran gearbeitet werden, das wieder aus den Köpfen der Bielefelder*innen und den Besucher*innen aus dem Umland wieder herauszubekommen. Was am Anfang auch viel zu wenig betont wurde, ist, dass alle Interessierten sich ja an dem Projekt altstadt.raum mit Vorschlägen, Anmerkungen und Kritik beteiligen können. Das wurde erst jetzt so richtig klar. So erklärt sich auch, dass seinerzeit nur eine Minderheit von ca 40 Personen darüber abgestimmt haben, ob der Waldhof versuchsweise abgebunden werde sollte. Jetzt haben sich über 5.000 Menschen an der Befragung beteiligt, um ihre Meinung zum Projekt kundzutun. 

Kam das Projekt altstadt.raum zum richtigen Zeitpunkt?

Henner Zimmat: Nein, leider ganz und gar nicht. Durch den Umbau des Jahnplatzes, wird zwei Jahre lang der Individualverkehr aus der Stadt verbannt, und zig anderen Baustellen in der Stadt haben wir regelmäßig lange Staus. Und für den Handel war der Zeitpunkt direkt nach der Pandemie mehr als unglücklich gewählt. Wir hätten uns gewünscht, dass die Stadtverwaltung beziehungsweise die Politik mit dem Versuch etwas gewartet hätte, bis sich die Kaufmannschaft von den Corona-bedingten Umsatzrückgängen erholt hätte. 

Die Gewerbetreibenden haben bei der Befragung angegeben, dass sie das Projekt altstadt.raum für Umsatzrückgänge verantwortlich machen – nicht die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie und nicht den Online-Handel. Ist das nicht zu kurz gegriffen?

Dennis Bußian: Ich kann da aus eigener Erfahrung berichten, da ich auch außerhalb Bielefelds Filialen betreibe. Corona und Online-Konkurrenz habe ich auch in Gütersloh und Detmold. Aber der Umsatz schwächelt ganz klar in der Bielefelder Altstadt. Das haben mir auch Kolleginnen und Kollegen berichtet. Wir sind da im regen Austausch – natürlich auch mit Lieferanten, die einen guten Überblick über andere Regionen haben. Wir haben festgestellt, dass insbesondere die Samstage schwächeln. Ein befreundeter Einzelhändler, der hochwertige Textilien anbietet, sprach in diesem Zusammenhang sogar von einem Umsatzrückgang von 50 Prozent.

Was den Online-Bereich angeht, so haben viele Händler spätestens seit der Pandemie alles daran gesetzt, dass der Klick in der Stadt bleibt und nicht bei einem der Online-Riesen landet. Viele Kunden informieren sich vorab auf der Homepage oder über Social Media und lassen sich die Ware zurücklegen. Früher haben sie einfach kurz vor der Tür geparkt, um die Ware abzuholen. Das ist nun vielfach nicht mehr möglich. Die sogenannten „Schnellbesorger“ fallen für den Handel zu einem großen Teil weg. Das macht sich beim Umsatz äußerst negativ bemerkbar.

Henner Zimmat: Insgesamt hat die Frequenz in der Stadt abgenommen. Das ist schon mit bloßem Auge erkennbar. Insbesondere Besucher*innen aus dem Umland meiden die Bielefelder Innenstadt mittlerweile, weil sie nicht mehr wissen, wie sie zu den Parkplätzen kommen. An den Wochenenden machen aber gerade die Leute aus dem Umland etwa 30 Prozent des Umsatzes aus. Beim Weihnachtsgeschäft sind es sogar 50 Prozent. Aber weil es sich in den Köpfen festgesetzt hat, dass die City schlecht erreichbar sei, bleiben viele potenzielle Kunden fern. Leider hilft den nicht so Ortskundigen Google Maps nicht weiter, weil temporäre Sperrungen und Umleitungen nicht zeitnah aktualisiert  werden. Das Allerwichtigste, was zeitnah geschehen muss, ist ein aktualisiertes Parkleitsystem, dass verhindert, dass die Besucher durch die Stadt irren.

Was wünschen Sie sich für die Bielefelder Altstadt?

Henner Zimmat: Um es noch mal deutlich zu sagen: Wir sind pro altstadt.raum und auch pro Verkehrswende. Kürzere Wege bis in die City müssen nicht mit dem Auto zurückgelegt werden. Da bietet sich ein Umstieg aufs Fahrrad oder den Bus an. Der ÖPNV sollte auch noch einmal über seine Preispolitik nachdenken, damit Menschen aus dem Umland diesen auch attraktiv finden und nutzen. In Städten wie Berlin, Hamburg oder München braucht man kein Auto, weil S- oder U-Bahnnetze funktionieren. Bei uns in der Region ist die Innenstadt aber über solche Netze schlecht oder gar nicht erreichbar. Wenn man jedoch bedenkt, dass unser hiesiger ÖPNV einen Rückgang von 50 Prozent durch die Corona-Pandemie verzeichnen musste, ist ein zügiger Ausbau aus unserer Sicht dringend notwendig. Deshalb wäre es wünschenswert, dass die Verkehrswende nicht mit der Brechstange umgesetzt wird. Wir sind sehr gespannt, ob künftige Entscheidungen im Hinblick auf Verkehrswende und altstadt.raum mit oder ohne uns getroffen werden. Wir sind ja in den Sitzungen und Gremien dabei, aber trotzdem waren wir häufiger sehr überrascht, welche Entscheidungen schlussendlich getroffen wurden. Wir wünschen uns weiterhin eine intensive Beteiligung und möchten unsere Vorstellungen für die Zukunft der Altstadt gern einbringen. 

Dennis Bußian: Uns fehlt bislang eine konkretere Vision, wie der altstadt.raum mit dauerhaft umzusetzenden Maßnahmen aussehen wird. Welche Konzepte und Ideen gibt es? Wie können z. B. stillgelegte Straßen zu flächenbündigen Plätzen mit hoher Aufenthaltsqualität umgestaltet werden? Gibt es Begrünungskonzepte, um triste Straßen aufzuheitern? Und was kostet das alles? Was passiert in den verkehrsberuhigten Zonen, wie zum Beispiel in der Ritterstraße, im Winter? Die Außengastronomie ist nur im Sommer geöffnet. Sind das in der kühleren Jahrszeit Geisterstraßen? Man könnte zum Beispiel über kostenfreie Pop-up-Flächen für den Handel nachdenken. Ich fände es gut, wenn man die Händler*innen, Gastronomen und Dienstleister*innen besser mitnehmen würde. Ich bin davon überzeugt, dass eine Vielzahl von Gewerbetreibenden gemeinsam gute Ideen und Lösungen finden, um die Altstadt zukünftig so attraktiv zu gestalten, dass Bielefeld immer erste Wahl bleibt.

Anmerkung der Redaktion:

Am 2.11.2021 hat der Stadtentwicklungsausschuss der Stadt Bielefeld beschlossen, dass die Fahrradstraße Waldhof wieder für den motorisierten Individualverkehr geöffnet wird. Von Montag bis Freitag bleibt der Waldhof in der Zeit zwischen 6:00 und 10:00 Uhr allerdings weiterhin für Autos gesperrt, um im Schulumfeld eine hohe Sicherheit zu gewährleisten. An Samstagen und Sonntagen ist ganztägig eine Befahrung mit dem Auto möglich. Diese Regelung gilt – auch in den Schulferien – bis zum Ende der Testphase Ende Februar 2022. 

Wichtiger Hinweis: 

Der Waldhof bleibt Fahrradstraße. Das bedeutet, dass der Radverkehr Vorfahrt hat. Die Radfahrer dürfen hier auch weiterhin nebeneinander fahren. Die Autofahrer*innen müssen ihre Geschwindigkeit entsprechend anpassen, maximal ist Tempo 30 erlaubt.

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